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Polestar 2: Bin ich bereit für den Umstieg?

Der Autor dieses Textes bekennt sich an dieser Stelle gleich mal als E-Auto-Novize. Klar, eine Runde mit dem Skoda Enyqa iV oder dem Fiat 500e habe ich schonmal gedreht. Aber eine Woche ausschließlich Polestar 2 fahren? Geht das, ohne große Vorbereitung?

Die Voraussetzungen: Ich verfüge nicht über eine Wallbox oder anderweitige heimische Lademöglichkeiten, muss jeden Tag knapp 230 Kilometer (113 Kilometer einfach) pendeln und nutze mein Auto eigentlich auch jeden Tag in der Freizeit. Das Testauto: Ein Polestar 2 mit 408 PS Spitzenleistung und 78 kWh-Akku (brutto). Reichweite auf dem Papier nach WLTP: 480 Kilometer.

Am Heck wird die Breite des Polestars durch das durchgehende Leuchtband betont. Die C-förmige Rundung am Rand spannt widerrum den Bogen zur Schwestermarke Volvo sowie deren Limousinen S60 bzw. S90.

Erstkontakt mit dem Polestar 2

Erstkontakt: Der Polestar 2 wird mir mit 76% Akkuladung übergeben und verspricht noch 300 Kilometer Restreichweite. Der nette Überführungsfahrer warnt aber gleich: „Die Restreichweitenanzeige kannst du vergessen, die zeigt immer zu viel an. Nutz‘ die Google Maps Navigation, die zeigt dir den Akkustand am Ziel an. Das passt ziemlich gut!“. Gesagt, getan. Ziel über die exzellente Spracheingabe diktiert und Google zeigt mir 40% Akkustand am Ziel an. Mit Tempo 130 auf der Autobahn erreiche ich mein Ziel mit 41% Akkustand – sehr gut.

Theoretisch sollte das auch für den Heimweg reichen, dann bleiben aber nur 5% Restakku. In der Vorwoche habe ich in etwa 300 Meter Entfernung meiner Arbeitsstelle eine Ladesäule gesehen. Also Auto abstellen, den Typ2-Stecker aus dem Kabelfach unter der Fronthaube holen, einstecken und mit dem mitgelieferten ‚Plugsurfing‘-Chip identifizieren. Der Polestar lädt. Zwar nur mit 11 kW (eigentlich sollten 22kW möglich sein), aber ich hab’s ja nicht eilig. Auch in den nächsten Tagen lädt der Polestar 2 übrigens immer nur mit 11 kW an verschiedenen 22 kW Ladesäulen. Warum hat sich mir leider nicht erschlossen. An der EnBw-Ladesäule lädt der Polestar 2 dagegen in der Spitze mit 147 kW (Herstellerangabe 150 kW). So geht’s von 10-80 Prozent in knapp 40 Minuten – danach wird es dann allerdings zäh. Für die Vollladung von 6 auf 100% benötigt der Polestar 2 ziemlich genau zwei Stunden.

So vergeht die Woche: Während der Arbeit laden, abends beim Biergartenbesuch laden, beim Besuch bei den Großeltern laden. Im Großraum Nürnberg und in der Region Regensburg finden sich dabei eigentlich (fast) immer Ladesäulen in Fußreichweite zum eigentlichen Ziel – und der Plugsurfing-Chip funktioniert an allen von mir angesteuerten Ladesäulen.

Im Innenraum verzichtet Polestar auf viele Knöpfe, die Bedienung erfolgt über den 11,2″-Touchscreen mit Google Betriebssystem. Die Verarbeitungsqualität ist gut, die Materialqualität reicht aber nicht ganz an die der Schwestermarke Volvo heran, wirkt aber noch hochwertig.

Polestar 2: Vor- und Nachteile

Dabei kristallisieren sich immer mehr die Vorzüge und Nachteile des Polestar 2 heraus: Extrem spontaner, kraftvoller Antritt, sehr geringes Geräuschniveau im Innenraum, hervorragendes Harman/Kardon-Soundsystem (dringende Bestellempfehlung) und starkes Pixel-Matrix-LED-Licht. Weniger gut sind dagegen die Übersichtlichkeit nach hinten, der etwas nervige Blinkerton und die wenig atmungsaktiven Sitzbezüge, die zudem auch wenig Seitenhalt bieten. Wir würden übrigens auch auf das „Performance Paket“ verzichten, denn wer vorausschauend fährt kann praktisch immer rekuperieren statt bremsen. Die Brembo-Bremsanlage mit goldenen Bremssätteln ist also eigentlich überflüssig. Auch auf die im Performance Paket enthaltenen straff abgestimmten Öhlins-Stoßdämpfer sowie die ‚Performance Sommerreifen‘ (Continental SportContact 6) hätten wir verzichten können. Denn sportlich auf der Landstraße bewegt fehlt es an Seitenhalt der Sitze und Rückmeldung der Lenkung (typisch Volvo). Zudem lässt sich in Kurven das Gewicht von etwa 2,2 Tonnen nicht ganz verbergen, hier gibt es sicherlich sportlichere Fahrzeuge.

Die Brembo-Bremsanlage mit gelochten Scheiben und goldenen Bremssätteln, sowie die 20″-Felgen sind Teil des 6000€ teuren Performance-Pakets. Da sich der Polestar 2 im Alltag aber mit starker Rekuperation (fast) ohne Bremspedal fahren lässt, lohnt sich das Performance-Paket nur für wirklich dynamische Fahrer.

Stromverbrauch & Kosten

Spannend ist abschließend sicherlich noch ein Blick auf den Testverbrauch: Sparsam auf der Autobahn (ca. Tempo 100) bewegt lag unser Verbrauch bei etwa 18 kWh/100 km. Stark belastet, unter anderem mit Topspeed 210 km/h, konnten wir einen Verbrauch von gut 30 kWh auf 100 Kilometern notieren. Im Alltag pendelte sich der Verbrauch zwischen 20 und 25 Kilowattstunden auf 100 Kilometer ein. Damit liegt die realistische Reichweite bei etwa 280 Kilometern pro Ladung. In Ladezeit ausgedrückt: An einer 22 kW-Ladesäule gewinnt man in einer Stunde etwa 100 Kilometer Reichweite (bei 11 kW entsprechend ca. 50 Kilometer).

Vergleich Preis & Kosten Diesel vs. Elektro

Damit liegen die Stromkosten pro 100 Kilometer bei ca. 12€ (Festpreis AC-Laden Plugsurfing: 48ct/kWh, 25 kWh pro 100 km), was zwar unter den Kosten für einen ähnlich motorisierten Benziner, aber deutlich über den Kosten für einen Alltagsdiesel (z.B. 2.0 TDI, 150 PS) liegt. Beim Blick auf den Listenpreis überrascht der Polestar 2 dann aber. Unser (bis auf Ledersitze) vollständig ausgestattete Testwagen soll nach Abzug des Umweltbonus (6000€) noch gut 61.000€ kosten. Wer auf Anhängerkupplung (bis zu 1.500kg Anhängelast) und Performancepaket verzichtet, sowie geschickt verhandelt, dürfte bei ca. 50.000€ landen. Zur Einordnung: Ein Volvo S60 B4 (197 PS) kostet mit vergleichbarer Ausstattung etwa 53.500€.

Das Cockpit des Polestar 2 gibt keine Rätsel auf: Geschwindigkeit und zulässige Geschwindigkeit links unten, Verbrauch und Assistenzsysteme unten, Leistungsabgabe und Ladestand rechts unten. Die Karte in der Mitte lässt sich zugunsten einer größeren Geschwindigkeitsanzeigen auch ausblenden.

Fazit

Als Elektroautonovize fällt der Umstieg inzwischen relativ leicht, auch ohne eigene Lademöglichkeit zuhause. Zumindest sofern man bereit ist regelmäßig zu Laden und dafür auch einige (hundert) Meter zur nächsten Ladesäule zu laufen. Für eine uneingeschränkte Nutzung bei meinem Fahrprofil mit täglichen langen Strecken müsste ein Elektroauto echt 400 Kilometer Reichweite bieten. Die 290 Kilometer des Polestars sind hier (gefühlt) etwas zu knapp bemessen. Doch diese Entwicklung ist sicherlich nur eine Frage der Zeit.

Über den Autor

Jonas Braunersreuther

Autor Jonas Braunersreuther interessiert sich von Kindesbeinen an für sportliche Autos und Zweiräder sowie neue Entwicklungen auf dem Automobilmarkt.

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