Reichweitenangst: „Angst davor, mit einem elektrisch oder alternativ angetriebenen Fahrzeug aufgrund der begrenzten Reichweite der vorhandenen Akku- bzw. Tankladung das Fahrtziel oder eine Lade- bzw. Tanksäule nicht zu erreichen und auf der Strecke liegen zu bleiben.“ So definiert der Duden – neben den hohen Preisen für Elektroautos – das vermutlich größte Problem von E-Autos. Wir machen den Test mit dem Volvo C40 (Early 2023). Ein Wochenende, 1400 Kilometer, ohne besondere Vorbereitung. Ist das Vorurteil, dass Elektrofahrzeuge keine Langstrecke können, noch berechtigt?
1. Das Auto: Volvo C40 Recharge Ultimate Twin Motor
Für unseren Test steht uns ein Volvo C40 Twin in der Ultimate-Ausstattung zur Verfügung. Der soll laut Volvo gut 22 kWh auf 100 km verbrauchen und eine Reichweite von über 400 Kilometer bieten. Die Energie wird dabei in einer 78 kWh großen Batterie gespeichert, von der 75 kWh nutzbar sind. Die Spitzenleistung von 408 PS und 660 Nm Drehmoment sind auf der Langstrecke eher akademischer Natur, aber natürlich beschleunigt der C40 sehr souverän, bis bei Tempo 180 der elektrische Begrenzer eingreift. Einen Vergleich Volvo C40 vs. Polestar 2 haben wir hier im Video verlinkt.
2. Die Vorbereitung
Auch wenn an immer mehr (Schnell)ladesäulen auch mit Kreditkarte bezahlt werden kann: Aufgrund der dann häufig hohen Strompreise empfiehlt es sich vor Fahrtantritt einen Ladevertrag abzuschließen. So kann an zahlreichen Ladepunkten verschiedenster Anbieter mittels App oder Ladekarte geladen werden. Da der Strompreis im Vertrag festgeschrieben ist, warten dann auch keine bösen Überraschungen. Für unseren Test verwenden wir eine Ladekarte von Shell Recharge und haben – sicherheitshalber – noch eine EnBW-Ladekarte dabei.
Die Routenplanung und Ladestopps überlassen wir übrigens vollständig dem Volvo, der mit Google-Betriebssystem einschließlich Google Maps ausgestattet ist. Um den Rückweg mit vollem Akku antreten zu können haben wir zudem ein Hotel mit Schnellladesäulen und AC-Lademöglichkeit gebucht.
3. Die Route
Unser Ziel ist die Stadt Amsterdam, denn die Niederlande verfügen über eines der dichtesten Ladenetze Europas, hier sollte Laden kein Problem sein. Unser Startpunkt ist Nürnberg, somit ergibt sich eine Distanz von etwa 670 Kilometern. Vertraut man der Reichweitenangabe von Volvo sollte theoretisch ein Ladestopp reichen – wir starten mit fast vollem Akku.
4. Die Routenplanung im Volvo C40
Als der Volvo C40 im April 2022 bei uns zu Gast war (Fahrbericht) veranschlagte das Google-Navi für eine hypothetische Routenführung nach Rom (ca. 1100 Kilometer) sieben Ladestopps. Der geneigte Dieselfahrer kann hier freilich nur müde lächeln, schließlich schaffen Mittelklassefahrzeuge mit Dieselmotor bei gemütlicher Fahrweise gut und gerne 1000 Kilometer mit einer Tankfüllung.
Umso lobenswerter, dass Volvo / Google in der Zwischenzeit scheinbar an der Ladeplanung gefeilt haben. Nach Eingabe unseres Hotels in der Nähe von Utrecht schlägt das Navi zwei Ladestopps bei Aschaffenburg (ca. 200 Kilometer) und Leverkusen (ca. 228 Kilometer) vor. Unser Ziel sollen wir dann mit 10% Akkustand erreichen.
5. Die Fahrweise
Wie oben beschrieben hat es der Begriff „Reichweitenangst“ mittlerweile sogar in den Duden geschafft. Und gerade für Elektroneulinge mag der Gedanke nicht spontan Laden zu können und im schlechtesten Fall sogar liegen zu bleiben, verstörend sein. Unser Volvo C40 macht hier allerdings insgesamt einen guten Job. So zeigt das Navi bei aktiver Routenführung stets der Ladestand am aktuellen Ziel an. Was uns allerdings fehlt ist eine Geschwindigkeitsvorgabe, wie schnell wir fahren dürfen, um das Ziel mit dem genannten Akkustand zu erreichen. Diese Funktion kennen wir beispielsweise von Mercedes. Hier warnen EQS und Co., falls das gesetzte Ziel bei der aktuellen Geschwindigkeit nicht erreicht werden kann und schlägt dann eine passende Geschwindigkeit vor. Nach unserer Erfahrung rechnet der C40 auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 120-130 km/h auf freier Strecke. Wer schneller fährt, reduziert den Ladestand am Ziel, wer langsamer fährt steigert diesen. Die Restakkuanzeige ist dabei übrigens sehr präzise und lässt sich mit +/- 2 Prozent erreichen – Klasse.
Anders als beim Verbrenner lässt sich auf der Strecke allerdings kaum Zeit gut machen. Denn der Mehrverbrauch durch schnelle Fahrt muss dann natürlich an der Ladesäule wieder ausgeglichen werden, was bei E-Autos länger dauert als beim Verbrenner, bei dem schnell einige Liter extra getankt werden können.
6. Anreise
So schwimmen wir am Freitagnachmittag bei 8° Außentemperatur mit dem Wochenendverkehr auf der A3 Richtung Frankfurt mit, ohne das Gefühl ein Verkehrshindernis zu sein. Aufgrund der Verkehrslage wären wir mit einem Verbrenner nicht schneller gewesen. Kurz vor Ladestopp eins konditionieren wir den Akku für die beste Ladeleistung, d.h. wir erhöhen die Akkutemperatur. Während zahlreiche Konkurrenten über eine Akkuheizung verfügen und diesen Job selbst erledigen, müssen wir hier leider selbst tätig werden. Dazu beschleunigen wir den C40 einige Male mit maximaler Leistung und rekuperieren dann maximal. Durch die Energieentnahme und -rückführung steigt die Akkutemperatur. So vorbereitet erreicht der C40 dann auch prompt die maximale Ladeleistung von 150 kW und lädt von 16% bis zum empfohlenen Ladestand laut Navi von knapp 80% in etwa 30 Minuten. Bis hier läuft also Alles perfekt.
Weniger gut läuft es an Ladestopp zwei in Leverkusen. Leider hat Google einen Ladepunkt mit nur einer Ladesäule gewählt – und prompt fährt vor uns ein anderes Fahrzeug an den einzigen freien Ladeplatz. Wir ziehen kurzerhand die EnBW-App zu Rate und fahren einen Kilometer weiter zum örtlichen Supermarkt mit Schnellladesäule. Durch die Verzögerung ist der Akku des C40 allerdings scheinbar nichtmehr auf perfekter Ladetemperatur, sodass wir nicht mit maximaler Ladeleistung laden. Dafür können wir den Stopp für einen Einkauf von Verpflegung nutzen.
Der Rest der Reise wird dann schon fast zur Formalität: Tempomat auf 130 stellen, aktive Spurmittenführung aktivieren und den Volvo C40 machen lassen. Am Hotel in den Niederlanden angekommen wird unsere Ladekarte an der Allego-Ladesäule anstandslos akzeptiert und bis wir eingecheckt und unser Zimmer bezogen haben hat der C40 schon wieder über 70% Akkustand erreicht.
7. Laden in den Niederlanden: Ohne besondere Vorkommnisse
Wie erwartet stellt Laden in den Niederlanden kein Problem dar. Das Parkhaus am Bahnhof Amsterdam bietet beispielsweise zahlreiche AC-Ladeplätze und auch an der Autobahn entdecken wir einige Ladeparks. Da sich unser C40 mit Tempolimit allerdings mit überraschend niedrigen 20,8 kWh/100km zufrieden gibt (rechnerische Reichweite 360km) entfällt ein Ladestopp.
8. Abreise & mangelnde Infrastruktur
Ernüchterung dann nach 280 Kilometern an Ladestopp eins auf dem Heimweg, eine EnBW-Ladesäule bei Montabaur. Zwar ist theoretisch einer der drei Ladeplätze frei. Doch ein Mercedes EQA belegt durch die Wahl des falschen Stellplatzes gleich zwei Ladeplätze. Somit müssen wir erst 15 Minuten warten, bis das andere Fahrzeug, ein VW ID.3, einen Platz freimacht. Das sorgt auch bei einem EQE-Fahrer, der zwischenzeitlich dazukommt, für schlechte Laune. Spätestens jetzt ist klar: Die Ladeinfrastruktur an der Autobahn kann mit der Zahl an neu zugelassenen E-Fahrzeugen nicht Schritt halten. Immerhin lädt unser C40 wieder mit voller Leistung.
Wie beliebt Elektroauto in den Niederlanden sind zeigt sich dann auch im weiteren Verlauf: Unser C40 plant für den zweiten Ladestopp wieder die Fastned-Station in der Nähe von Aschaffenburg ein. Kein Problem denken wir – schließlich gibt es hier vier Ladesäulen mit insgesamt acht Ladeplätzen. Doch vor Ort werden wir eines besseren belehrt. Alle Ladeplätze sind von meist niederländischen Fahrzeugen belegt, wir müssen knapp zehn Minuten warten, bis wir laden können. In Sachen Ladeinfrastruktur besteht hier also noch Ausbaubedarf, insbesondere wenn wir an Spitzenzeiten wie Ferienstart oder -ende denken.
9. Die Kosten
Werfen wir noch einen Blick auf die entstandenen Kosten. Natürlich sind Elektrofahrzeuge derzeit von der Kfz-Steuer befreit und auch die Inspektionskosten sind geringer als bei einem Verbrenner. Wir betrachten hier zur Vereinfachung nur die Energiekosten.
Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von etwa 24 kWh auf 100 Kilometer im C40 haben wir auf einer Strecke von etwa 1400 Kilometern 336 kWh Energie (ohne Ladeverlust) nachgeladen. Bei Ladestopps an Fastned, Aldi, EnBW und Allego-Ladesäulen kostet die Kilowattstunde im Shell-Recharge-Tarif derzeit 74 ct. Somit hat uns das Laden etwa 249 Euro gekostet.
Zum Vergleich: Ein ähnlich großes (aber schwächer motorisiertes) Diesel-SUV benötigt bei ähnlicher Fahrweise schätzungsweise 6,5 Liter auf 100 Kilometer. Ein Liter Diesel kostete zum Zeitpunkt unserer Reise (abseits der Autobahn) etwa 1,85€. Macht Kosten von etwa 169 Euro.
Zu bemerken ist, dass der Shell-Recharge-Tarif nicht sonderlich günstig ist. Wählen wir den von EnBW empfohlenen Ladevertrag L für Vielfahrer, sinken die Stromkosten auf 168 Euro (+18€ monatliche Grundgebühr). Der Strompreis sinkt hier auf 50ct/kWh (an nicht-EnBW-Säulen) bzw. auf 39ct/kWh (an EnbW-Säulen).
Der große Kostenvorteil aus den vergangenen Jahren ist aufgrund der aktuell hohen Stromkosten allerdings passé.
10. Fazit: Volvo C40 & Langstrecke
Unser Test zeigt: Reichweitenangst ist dank moderner Navigationssysteme eigentlich unbegründet. So wurde unsere Ladekarte an allen Säulen akzeptiert, keine Säule war defekt und auch die Ladezeit bewegte sich im Rahmen, den Volvo angibt (10-80% in 37 Minuten).
Ganz perfekt lief unser Roadtrip aber auch nicht. So mussten wir unterwegs bei drei von vier Ladestopps wegen Überfüllung warten, bis wir laden konnten. Auch Stress oder Termindruck sind auf langen Strecken mit E-Auto eher fehl am Platz, denn die Reisegeschwindigkeit kann, anders als beim Verbrenner, nicht beliebig erhöht werden. Denn sonst wird es entweder mit der Reichweite knapp oder die Ladezeit frisst den auf der Autobahn herausgefahrenen Zeitvorteil wieder auf.
Erfreulich ist unser Verbrauch: Für die Hinreise benötigten wir im Volvo C40 knapp 25 kWh auf 100 Kilometer, auf dem Rückweg nur gut 23 kWh/100 Kilometer. Mit Tempolimit 100 auf der flachen niederländischen Autobahn sank der Verbrauch gar auf 20,8 kWh. So gefahren sind im C40 Reichweiten von etwa 350 Kilometern möglich.
Interessant auch der Blick auf den technologischen Fortschritt. Mit dem Modelljahr ‚Late 2023‘ vergrößert Volvo den Akku des C40 auf 78 kWh nutzbar. Gleichzeitig steigt die Ladeleistung auf 200 kW. Zudem hat Volvo die Effizienz erhöht. Grob überschlagen hätten wir uns mit der neuen Version etwa 15-20 Minuten Ladezeit sparen können und hätten vermutlich aufgrund des größeren Akkus und der erhöhten Effizienz und damit verbunden höheren Geschwindigkeiten Zeit auf der Straße gespart.
Abschließend die technischen Daten unseres Testwagens (Early 2023), sowie des neuen Modells (Late 2023), das ab April 2023 produziert wird. Zudem gibt es hier unsere Testwagenkonfiguration als PDF.
Beschreibung | Volvo C40 Recharge Twin (Early 2023 - Testwagen) | Volvo C40 Recharge Twin (Late 2023) |
Leistung | 300kW / 408PS | 300kW / 408 PS |
Drehmoment | 660Nm | 670Nm |
Motorenkonfiguration | Vorne: 150kW/330Nm, Hinten: 150kW/330Nm | Vorne: 110kW, Hinten: 190kW |
Akkukapazität (nutzbar / brutto) | 75kWh / 78kWh | 78kWh / 82kWh |
Ladeleistung (DC) / Ladezeit (10-80%) | 150kW / 37min | 200kW / 27min |
Getriebe | Ein-Gang-Getriebe | Ein-Gang-Getriebe |
Beschleunigung 0-100km/h | 4,7 Sekunden | 4,7 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 180km/h (abgeregelt) | 180km/h (abgeregelt) |
Antriebsart | Allradantrieb | Allradantrieb |
Abmessungen (Länge x Breite x Höhe) | 4,44m x 1,87m x 1,59m | 4,44m x 1,87m x 1,59m |
Gewicht | 2185kg | 2185kg |
Verbrauch (Hersteller WLTP / Test) | ca. 22kWh/100km / ca. 24kWh/100km | ca. 18kWh/100km |
Preis (Basis / Testwagen) | 57.650€ / 68.630€ | 61.400€ |