Wer das Wort ‘Allrad’ hört, denkt vermutlich sofort an Audi’s quattro-Konzept und die fast schon legendäre Werbung in welcher ein Audi Quattro eine Skisprungschanze bezwingt. Auch die meisten anderen Automobilhersteller bieten für bestimmte Fahrzeuge (gegen Aufpreis) einen Allradantrieb. Dieser Allradantrieb soll beispielsweise bei Fahrzeugen mit viel Leistung beim Beschleunigen ein Durchdrehen der Reifen verhindern, da die Kraft auf mehr Räder verteilt werden kann. Oder er sorgt im Winter bei Eis- und Schneeglätte für bessere Traktion und verhindert ein Liegenbleiben. Allerdings unterscheiden sich die Allradkonzepte je nach Hersteller und Fahrzeugklasse.
Offene Differentiale: Grundlage jeden Antriebs
Bevor wir uns dem Thema Allradantrieb widmen wollen wir kurz das sogenannte Ausgleichsgetriebe oder offene Differential erklären. Da sich die Räder eines Autos beim Durchfahren einer Kurve unterschiedlich schnell drehen (die Kurveninneren langsamer als die Kurvenäußeren) verbaut man ein offenes Differential. Würde man kein solches Differential nicht einbauen würde sich einerseits der Antriebsstrang verspannen. Außerdem würden die kurveninneren Räder durchdrehen, da sie sich genauso schnell drehen würden wie die kurvenäußeren Räder (die ja Traktion haben).
Das offene Differential überträgt die Leistung grundsätzlich auf beide Seiten der Achse gleichmäßig, allerdings lässt es durch die Verbindung der Achshälften über Kegelräder einen Drehzahlausgleich zu. Problematisch wird dieses offene Getriebe erst wenn ein Rad keine Traktion mehr hat. Dann wandert die Kraft nicht auf das tranktionsstarke Rad, sondern sie verpufft beim durchdrehenden Rad. Deswegen verbauen manche Automobilhersteller optional oder in höher motorisierten Modellen auch serienmäßig Differentialsperren oder Kupplungen. Diese Bauteile sorgen dann in einem solchen Fall für eine bessere Verteilung der Antriebskraft.

Offenes Hinterachsdifferential eines Audi A8 zum Ausgleich von Drehzahlunterschieden zwischen den Achshälften
Sperrdifferentiale: Das Allradkonzept für permanenten Allradantrieb
Der Name ‘Torsen’ setzt sich zusammen aus ‘Torque’ (engl. Drehmoment) und ‘sensing’ (engl. empfindlich). Das Torsen-Differential gehört also zu den drehmomentfühlenden Differentialen. Dies impliziert zwar, dass ein Torsen-Differential Sensoren zum erfassen von Drehmomentunterschieden hat, was allerdings nicht stimmt. Ein Torsen-Differential ist eine rein mechanische Sperre, die auch nicht elektronisch geregelt werden kann. Die Sperrwirkung eines Torsen-Differentials beruht – vereinfacht gesagt – auf dem Einsatz schrägverzahnter Zahnräder. Dadurch kann das Differential Drehmoment zwischen den Rädern verteilen. Wird ein Torsen-Differential als Mittendifferential eingesetzt, so wird die Kraft zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt. Die Verteilung des Drehmoments erfolgt dabei immer von der Seite, welche weniger Drehmoment übertragen kann zu der Seite, welche mehr übertragen kann. Auch das Übertragungsverhältnis ist immer gleich.
Was bedeutet das praktisch? An der Antriebsachse sei ein Torsen-Differential montiert, welches ein TBR (Torque Bias Ratio) von 3:1 hat. Das bedeutet, dass dem Rad, welches mehr Drehmoment übertragen kann dreimal so viel Drehmoment zur Verfügung gestellt wird, als dem Rad, welches weniger Drehmoment übertragen kann. Beschleunigt ein Auto also auf einer halbseitig nassen Straße, kann es sein, dass ein Rad durchdreht. Es kann also weniger Drehmoment übertragen. Nun greift das Torsen-Differential ein und überträgt das dreifache Drehmoment an das nicht-durchdrehende Rad. Das System gerät dann an seine Grenzen, wenn ein Rad keinerlei Drehmoment mehr auf die Straße bringen kann, da dann auch eine Verdreifachung des Drehmoments null ergibt.
Solche Allradsysteme kommen meist bei Fahrzeugen mit längseingebauten Motoren zum Einsatz. Zum Einsatz kommen Torsen-Differneziale z.B. im VW Amarok oder Touareg. Audi hat das im Ur-Quattro verbaute Torsen-Differential übrigens mittlerweile bei allen aktuellen Modellen durch ein ähnlich funktionierendes Kronenrad-Differential ersetzt. Dieses arbeitet ebenfalls mechanisch, ermöglicht allerdings eine variable Verteilung der Antriebskraft zwischen den Achsen.

Explosionszeichnung eines Torsen-Differentials
Kupplungsbasierter Allrad: Hang-On-Systeme
Neben dem permanenten Allradantrieb, wie ihn etwa ein Torsen-Differential ermöglicht, gibt es auch die Möglichkeit eine zweite Achse nur bei Bedarf in den Antriebsstrang zu integrieren. Dies geschieht durch den Einsatz einer Lamellenkupplung als Mittendifferential. Ein Beispiel für eine solche Lamellenkupplung ist die “Haldex-Kupplung”, welche vom gleichnamigen Hersteller entwickelt wurde. Im Teillastbetrieb wird nur eine Achse angetrieben. Kommt es dann zu Drehzahlunterschieden zwischen den Achsen wird im Bruchteil einer Sekunde die Kupplung geschlossen und die Antriebskraft wird an die zweite Achse geleitet. Auf diese Weise lassen sich allerdings maximal 50% der Motorleistung an die zweite Achse leiten, da die ursprüngliche Antriebsachse weiterhin angetrieben wird. Die Steuerung einer Lamellenkupplung erfolgt meist über elektrohydraulische oder elektromechanische Systeme, die je nach Fahrtzustand vom Steuergerät angesprochen werden. Allerdings sind auch mechanische Systeme, die bei einer bestimmten Drehzahldifferenz ansprechen, auf dem Markt vertreten.
Lamellenkupplungen lassen sich darüber hinaus auch nach dem Verteilergetriebe an einer Achse montieren. Auf diese Weise lässt sich das Drehmoment bis zu 100% auf eine Seite der Achse verteilen (eine Seite vollständige geöffnet, eine Seite vollständig geschlossen) sowie stufenlos verteilen. Im Gegensatz zum Torsen-Differential ist hierfür allerdings ein deutlich höherer technischer Aufwand nötig.
Solche Hang-On-Systeme kommen mittlerweile bei den meisten Herstellern zum Einsatz, etwa im Golf 4Motion oder optional im neuen BMW 1er oder 2er Active Tourer.

Illustration des Audi Sportdifferentials: In der Mitte offenes Differential (Raddrehzahlausgleich). Pro Achsseite eine elektronisch geregelte Lamellenkupplung zur stufenlosen Drehmomentverteilung. Zusätzlich findet sich pro Achsseite noch ein Überlagerungsgetriebe.
Mechanische Sperre: Robust für den Geländeeinsatz
Während Torsen-Differential und Lamellenkupplung entweder selbstregelnd (Torsen) oder elektronisch gesteuert sind (Lamellenkupplung), gibt es mit der mechanischen Sperre noch einen dritten Typ von Allradantrieb. Bei der mechanischen Sperre handelt es sich um die einfachste Art von Allradantrieb. Hier werden – auf Wunsch des Fahrzeugführers – entweder Kardanwelle oder eine Achse vollständig gesperrt. Das bedeutet, dass sich beide Seiten der Sperre gleich schnell drehen. Die Folge ist eine gleichmäßige Kraftverteilung entweder vorne und hinten (Mittendifferential) oder zwischen den Achshälften (Achsdifferential). Auch eine Kombination von zwei oder drei Sperren ist möglich.
Ein großer Nachteil solcher mechanischer Sperren ist die Beschränkung auf den Geländeeinsatz. Im Straßenbetrieb sind mechanische Sperren nicht zulässig, da Regeleingriffe des ESP und ABS nicht oder nur teilweise möglich sind, da nicht jedes Rad individuell angesteuert werden kann. Zudem ist ein Ausgleich der Raddrehzahl ebenfalls nicht möglich, sodass es zu instabilen Fahrzuständen und Defekten im Allradsystem kommen kann.

Manuell zuschaltbare Mitten- und Achsdifferentiale in einem Mercedes-Benz G350d Professionell
Vor- und Nachteile
Die Vor- und Nachteile der vorgestellten Allradsysteme haben wir in der folgenden Tabelle zusammengefasst:
Torsen-Differential | Lamellenkupplung | Mechanisches Differential | |
Ansprechverhalten | Sofort | Minimal verzögert | Sofort |
Einsatzort | Straße, leichtes Gelände, Rallyesport | Straße, leichtes Gelände | Mittleres bis schwere Gelände |
Komplexität des Systems | Mittel | Hoch | Gering |
Sperrwirkung | Je nach Auslegung, nicht variabel | Variabel | Nicht variabel, immer 100% |
Steuerung | Nicht steuerbar | Elektronisch, über Fahrzeugsteuergeräte | Manuell zuschaltbar |
Verschleiß | Geringer Verschleiß | Im Vergleich zu anderen Systemen höherer Verschleiß, da rutschende Kupplungen | Geringer Verschleiß |
Kosten | Mittel | Hoch (meist nur ab Werk bestellbar) | Gering |
Einfluss auf Kraftstoffverbrauch | Mehrverbrauch ca. 2-7%, da permanent alle Räder angetrieben werden sowie durch zusätzliches Gewicht der Allradtechnik | Geringer Mehrverbrauch durch zusätzliches Gewicht der Allradtechnik | Geringer Mehrverbrauch durch zusätzliches Gewicht der Allradtechnik |
Der Artikel enthält mehrere unrichtige Behauptungen:
1. Wenn beim Torsen-Differenzial eine Achse überhaupt keinen Grip hat, wird trotzdem Drehmoment an die andere Achse übertragen. Sonst bräuchte man das Torsen-Differenzial ja garnicht. Der Torsen-Effekt beruht auf Reibung infolge der Schrägverzahnung der Zahnräder.
2. Wenn die Haldex-Kupplung vollständig geschlossen ist und eine Achse überhaupt keinen Grip hat, werden 100% (und nicht 50%) des Drehmoments auf die andere Achse übertragen.
1 flasch 2 richtig